Unser Sohn Juri (Name geändert) wurde am 23.06.2016 mit einem Herzfehler, ASD II, geboren. Wir hatten schon zwei Kinder: Laura ist heute 13 Jahre alt. Sie hat eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, die vorgeburtlich schon erkannt wurde und bis jetzt sechs Mal operiert werden musste. Auf diese Eingriffe konnten wir uns gut vorbereiten und haben sie nicht als besonders schlimm in Erinnerung. Unser Sohn Fynn ist heute sechs Jahre alt. Er hat eine schwere Sprach-Entwicklungsstörung und viele weitere Baustellen. Wir haben für ihn den Pflegegrad 3 beantragt und bewilligt bekommen.
Juri war nach der Geburt ein vollkommen unauffälliges Kind, erst bei der U-4 bemerkte die Kinderärztin ein Herzgeräusch, das jedoch erstmal nur beobachtet werden sollte. Bei der U 5 wurden wir dann zum Kinderkardiologen überwiesen, um einen Herzfehler auszuschließen. Leider bestätigt sich aber, für uns sehr überraschend, der Herzfehler, ein ASD II, der aber erstmal beobachtet werden sollte. Mit der Zeit und einigen Kontrolluntersuchungen kamen immer mehr negative Nachrichten: das Loch wurde nicht kleiner, sondern größer, eine Herzhälfte war vergrößert, die Lunge war beeinträchtigt. Er ist nicht mehr gewachsen und hat schlecht zugenommen. Er litt merklich unter dem Energieverlust. Obwohl er noch gestillt wurde, sollten wir hochkalorische Nahrung zufüttern. Zum Verschluss des ASD II per Katheter waren wir Anfang Okt. 2018 beim Aufklärungsgespräch in der Herzklinik. Das „rauschte“ völlig an mir vorbei. Auch bei meinem Mann ist wenig hängengeblieben, da wir so aufgeregt und angespannt waren. Mein Mann ging alle Einschränkungen und Anforderungen pragmatischer an. Ich habe wohl vieles ausgeblendet, weil es mich so sehr gestresst hat. Der Eingriff inkl. Herz-Echo sollte 40-50 Minuten dauern. Nach 20 Minuten bekamen wir schon einen Anruf. Wir waren zutiefst erschrocken und befürchteten das Schlimmste. Der Grund des Anrufs: das Loch war wohl zu groß und lag so ungünstig, dass eine OP am offenen Herzen notwendig war.
Also mussten wir mit Juri wieder nachhause. Gottseidank wohnen wir nicht sehr weit entfernt und signalisierten, dass wir spontan einen freiwerdenden OP-Termin wahrnehmen könnten. Es zeichnete sich nämlich schon damals ein eklatanter Pflegemangel auf der Intensivstation mit entsprechenden Wartelisten ab. Die Woche bis zur OP erlebte ich wie in Trance. Ich suchte im Internet nach Informationen und Filmen und war entsetzt, was ich dort las und sah: der Brustkorb meines kleinen Kindes wird aufgeschnitten, die Rippen gespreizt, das Herz angehalten. Maschinen übernehmen seine Funktion. Ich war schockiert und wiederum wie in Trance.
Am 18.10.2018 kam schon der überraschende Anruf. Wir sollten am nächsten Tag in die Klinik zum Vorgespräch. Dort wurde Blut abgenommen, was Juri ganz gut toleriert hat. Beim Ultraschall ist unser „Mr. Coolman“ selig eingeschlafen!!! Der Kleine hatte bessere Nerven als seine Eltern!! Er war bei allen Prozeduren so ruhig, fast schon verständnisvoll, obwohl man Kindern in diesem Alter ja noch nicht viel erklären kann. Zu dem Zeitpunkt hatten wir schon ein sechstes Familienmitglied: Erwin aus dem BVHK-Mut-mach-Paket. Mit ihm hat Juri auch unangenehme Prozeduren (pieksen für Blutabnahmen oder lästige Untersuchungen) friedlich mitgemacht und war ein echtes Strahlemännchen. Aber vor der OP musste er beim Legen des Zugangs 10 Mal gepiekst werden, da die Ärztin wohl wenig Routine hatte. Am 21.10.2018 durften wir “einchecken” und am 22.10.2018 wurde sein kleines Herz operiert.
An der OP-Schleuße musste ich ihn morgens um 08.00 Uhr alleine übergeben, da sich mein Mann erst um die Geschwister gekümmert hat. Juri ist in meinem Arm eingeschlafen und ich habe fürchterlich geweint. Aber Erwin ist ja mit ihm in den OP und der sympathische Narkosearzt versicherte mir, dass er immer bei Juri sei, so lange er schlafe – voraussichtlich bis 13 Uhr. Als nach Stunden des bangen Wartens der Narkosearzt rauskam, sprangen mein Mann und ich erwartungsvoll auf. Aber er erkannte uns gar nicht und ging in die andere Richtung davon. Erstmals wankte mein Vertrauen in die Ärzte, schlimme Zweifel beschlichen uns. Aber da kam er zurück und sagte, dass es Juri gut gehe und er beatmet aus dem OP hinauf auf die Intensivstation käme. Aber nur mit seinem Erwin, der überall dabei sein musste! Für die Geschwister war das Tagebuch aus dem Kinderbuch „Annas Herz-OP“ sehr hilfreich.
Dort ist er so schnell wach geworden, dass er sich selbst den Beatmungstubus und einen Zugang gezogen hat, ehe das Pflegepersonal eingreifen konnte. Deshalb wurde er an den Armen fixiert. Endlich durfte ich zu ihm, aber erst einmal war es der reinste Horror, mein Kind verkabelt dort zu sehen – an all die Maschinen angeschlossen, mit einem unaufhörlichen, nervtötenden Gepiepe! Erwin lag in seinem Bett. Im OP war Erwin auch ein Zugang gelegt und ein Verband angelegt worden. Ich nähte dem plüschigen Freund eine Narbe auf die Brust und auf das kleine Plüsch-Herz in seinem Körper. Juris Narbe war eindeutig die wulstigere, daher habe ich sie regelmäßig eingeölt. Heute ist sie nur noch ein dünner, heller Strich auf seinem Oberkörper und er stört sich nicht daran. Als Juri wach wurde, machte er energisch und lautstark klar, dass er gestillt werden wollte. Aber das ging wegen der ganzen Geräte und Schläuche nicht und da drehte mein sonst so friedliches Kind durch und schrie wie am Spieß. Und musste erstmal ruhiggestellt werden. Als ich am nächsten Tag über das Außengelände Richtung Intensivstation ging, sah ich durchs Fenster mein Kind im Bett stehen – angezogen und mit Erwin im Arm!
Schnell konnten wir auf die Normalstation umziehen, es wurden nach und nach weitere Kabel und der ZVK (zentrale Venenkatheter) gezogen, aber er hat oft und viel geschrien. Nachts schreckte er brüllend auf und war ganz verstört, obwohl ich immer in seiner Nähe war. Ich erkannte mein fröhliches Kind nicht mehr! Mir ist klar, dass sein Herzfehler nicht sehr komplex ist und ich habe gesehen, was andere Familien mit ihren Kindern in der Klinik durchmachen mussten. Ich habe auch miterlebt, wie Kinder dort gestorben sind. So war ich sehr überrascht, aber auch froh, dass wir nach nur fünf Tagen nachhause durften. Ein kompletter „Durchmarsch“, besser und schneller geht’s nicht! Zuhause kehrte bei uns nach zwei Wochen wieder Normalität ein und Juri tollte mit seinen Geschwistern durch die Wohnung. Erwin bezogen wir immer ein, beim Verbandswechsel, beim Pflastern – er musste mindestens das Gleiche aushalten. Die Kontrolltermine beim Kinderkardiologen liefen leider jetzt immer mit viel Geschrei. Unser Sonnenschein hatte sein Zutrauen verloren.
Mit drei Jahren kam Juri in den Kindergarten, selbstverständlich immer in Begleitung von Erwin! Juri ging gerne hin und war auch sehr beliebt. Im Frühjahr musste er wegen des Corona-Lockdowns zu seinem großen Bedauern erst einmal zuhause bleiben. Im Sommer 2020 wechselte er zu seinem Bruder in den Sprachheilkindergarten, denn es zeichnete sich auch bei ihm eine Sprachentwicklungsstörung ab. Seinem Herzen geht es heute gut, er ist allerdings noch immer unter der normalen Wachstums-Perzentile und sein Gewicht liegt auch unter dem Durchschnitt. Deshalb waren wir beim Endokrinologen, der Kleinwuchs diagnostizierte. Ob und wie er behandelt wird, steht noch aus.
Wir sind dankbar für den medizinischen Fortschritt und feiern jedes Jahr seinen Herzgeburtstag – nur mit ihm! Mittlerweile erwarten wir ein viertes Kind, das wohl laut Feindiagnostik gesund sein soll.
Erwin war und ist ihm eine große Stütze. Jetzt braucht er ihn nicht mehr so oft, aber zu besonderen Anlässen muss er wieder an seiner Seite sein. Und wir nehmen Erwin auch immer wieder gerne mit, wenn wir unsere Geschichte erzählen, ob im Kindergarten oder für die Geschwister. Danke für dieses tolle Mut-mach-Paket und Danke an Bundesverband Herzkranke Kinder e.V. (BVHK)
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