Dass ich bis zum Eingriff 1972 in London überhaupt überlebte, war laut den Ärzten ein Wunder! Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Die ständigen Arztbesuche und Klinikaufenthalte waren für meine 7-köpfige Familie sehr aufreibend und meine Geschwister mussten sicher oft zurückstehen. Ich hatte zuhause eine Sonderrolle, ohne dass mir das damals bewusst gewesen wäre. Wie mir auch viele schwere Erlebnisse erst wieder gewahr werden, wenn ich Fotos von früher ansehe oder mit meinen Geschwistern über alte Zeiten spreche. Meine Mutter ist früh gestorben, mit ihr kann ich leider keine Erinnerungen mehr austauschen.
Nach der Operation fühlte ich mich erst einmal besser, aber ich bin zu schnell gewachsen und die Nähte rissen auf. Also musste ich 1976 nochmals nach London zur zweiten OP am offenen Herzen.
Das waren natürlich üble Voraussetzungen für meine OP am Folgetag. Ich hatte große Angst und wurde ohne jegliche Zuversicht an der OP-Schleuse verabschiedet. Doch die OP glückte!
In der Schule fühlte ich mich immer ausgegrenzt. Selbst meine Freunde sagten mir beim Sport: „Du musst verstehen, dass wir dich nicht in unsere Mannschaft wählen, wir wollen ja schließlich gewinnen“. Ich hätte so gern mitgemacht, beim Fußball oder beim Judo, aber auch da war ich immer außen vor. Ich wurde „Herzkasper“ gerufen, das hat mich sehr verletzt. In der Klasse hatte ich es nicht leicht und während der Ausbildung wurde es nicht besser. Ich kam mit Freunden am besten zurecht, die 10 und mehr Jahre älter waren als ich. Das ist bis heute so, ich fühle mich bei ihnen verstanden und ernst genommen.
Depressive Phasen wechselten sich ab mit schönen Zeiten: vor 30 Jahren lernte ich meine liebe Frau kennen. Ihr gegenüber bin ich von Anfang an offen mit meiner Herzerkrankung umgegangen. Sie wusste also, worauf sie sich einließ. Wir bekamen unsere inzwischen 19-jährige Tochter Jana.
Als ich 1999 die Diagnose Hautkrebs an der rechten Fußsohle bekam, sagte der untersuchende Hautarzt zu mir, dass er nicht wüsste, ob man da noch etwas machen kann. Aber ich solle mir keine Gedanken machen und nach Hause fahren. Das Bett in der Klinik wäre in drei Tagen für mich reserviert. Das war für mich mit meiner Vorgeschichte und meiner „Krankenhausphobie“ natürlich nicht gerade ermunternd!
Wenn ich bei Krankenhausbesuchen, die ich so gut es geht vermeide, durch piepsende Medizingeräte an meine Zeit an der HLM erinnert wurde, bin ich heulend rausgelaufen. Die endlosen Wochen in den Krankenhäusern konnte ich nicht abschütteln, sie verfolgen mich bis heute. Vor allem bei den Bildern in den Medien seit Beginn der Corona-Pandemie werden immer wieder meine Ängste aufgewühlt. Krankenhaustypische Geräusche, wie piepsende Monitore oder Sirenen der Krankenwagen gehen mir durch Mark und Bein.
Mit meinem Bericht möchte ich anderen herzkranken Erwachsenen Mut machen und freue mich über Kontakt zu Gleich-Betroffenen. Auch wenn mein Weg lang und nicht leicht war, lohnt es sich zu leben. Meine Mitmenschen sind voller Bewunderung, was ich schon alles geschafft habe, aber ich sehe mich eher als den kleinen, kranken Mann. Für die Stärkung und Begleitung meiner Familie bin ich sehr dankbar. Vor allem bedanke ich mich von Herzen bei meiner Frau, mit der ich seit 1991 zusammen bin und die es nicht immer einfach mit mir hat(te).